Verein03.12.2025

Interview mit Präsident Prof. Dr. Rainer Lorz nach der Mitgliederversammlung 2025

Nach der diesjährigen Mitgliederversammlung des SV Stuttgarter Kickers haben wir mit Präsident Prof. Dr. Rainer Lorz über die aktuelle Lage des Vereins, sportliche Entwicklungen und zukünftige Herausforderungen gesprochen. 

Herr Professor Lorz, die Mitgliederversammlung war für viele Mitglieder sehr emotional. Wie blicken Sie auf den Abend zurück? 

Die Mitgliederversammlung ist für mich immer ein besonderer Moment, weil sie das höchste Organ unseres Vereins ist. Sie zeigt, dass sich unsere Mitglieder aktiv informieren, nachfragen und sich einbringen. Und nicht nur passiv beispielsweise in sozialen Medien urteilen. Dieses persönliche Engagement schätze ich sehr. 

Kommen wir zum sportlichen Bereich. Sie haben sehr offen über Fehleinschätzungen in der Saison 24/25 gesprochen. Wo lagen die Hauptprobleme? 

Wir wollten nach dem knapp verpassten Aufstieg mit aller Macht direkt noch einmal angreifen. Dafür haben wir den Kader verbreitert und in Erfahrung investiert. In der Hoffnung, dass wir so den letzten Schritt gehen können. Rückblickend mussten wir feststellen, wie ich es bei meiner Rede gesagt habe: Wir wollten zu viel zu schnell. 

Was folgt daraus für die aktuelle Saison? 

Wir haben bewusst einen Schritt zurück gemacht, den Kader verjüngt und setzen klar auf Spieler, die ihre ersten Verträge bei uns unterschreiben – nicht auf diejenigen, die vor ihrem Karriereende stehen. Auch wenn wir gerade in der Tabelle klar hinter unseren eigenen Erwartungen stehen: Wir glauben an diesen Weg. 

Sie betonen immer wieder die Bedeutung der Jugend. Wie zufrieden sind Sie mit dem Nachwuchs? 

Sehr. Wir haben eine enge Verzahnung zwischen Jugend und erster Mannschaft wie seit Jahren nicht mehr. Mehrere Spieler, die eigentlich noch U19 spielen dürften, kommen bereits regelmäßig bei den Aktiven zum Einsatz. Neun Spieler unseres Regionalligateams stammen aus unserem NLZ. Und wir spielen in allen Altersklassen in der höchstmöglichen Liga. Das schaffen unterhalb der 2. Bundesliga nur wenige Vereine. Die Hochstufung unseres Nachwuchsleistungszentrums in Kategorie II zeigt, dass wir hier hervorragende Arbeit leisten. Unsere U17 hat sich am Wochenende für die A-Runde in der DFB-Nachwuchsliga qualifiziert. All das sind tolle Leistungen. Ein großer Dank gilt unseren Partnern, die uns unterstützen, und unserem gesamten NLZ-Team. 

In Ihrer Rede haben Sie deutliche Worte zur Situation rund um das GAZi-Stadion auf der Waldau gefunden. Was ist Ihre Kernbotschaft? 

Unsere Heimat ist Degerloch. Heimat ist nicht verkäuflich und nicht jährlich austauschbar. Wir stehen seit Jahrzehnten für diesen Stadtteil, für dieses Stadion und für die Waldau. Deshalb erwarten wir, dass zugesagte Maßnahmen wie die Erneuerung der Gegengerade auch umgesetzt werden. Wir sind offen für moderne Entwicklungen, aber wir geben unsere Wurzeln nicht preis. 

Sie haben Kritik an strukturellen Problemen im deutschen Fußball geäußert, insbesondere an Zweitmannschaften und der Umverteilung von TV-Geldern. Was macht Ihnen am meisten Sorgen? 

Die Schere zwischen Profi- und Amateurfußball geht immer weiter auf. Zweitmannschaften haben enorme Vorteile: bessere Trainingsbedingungen, Reha, Scouting, Kaderqualität. Das verzerrt den Wettbewerb in den Regionalligen massiv. Und wenn ein Fan künftig sieben verschiedene Streaming-Abos braucht, um Fußball zu sehen, zeigt das, wie weit sich der Profifußball von seiner Basis entfernt hat. Vielleicht kommt irgendwann der Moment, an dem die Menschen wieder bewusst zu „ihrem“ Verein zurückkehren. Zu einem echten Stadion, zu echter Nähe. Wir als Stuttgarter Kickers bieten das, ein Stück weit ist das auch zu unserem Markenkern geworden, auf den ich sehr stolz bin. 

Trotz der Herausforderungen haben Sie zahlreichen Partnern gedankt. Was bedeuten diese Unterstützer für die Kickers? 

Ohne unsere Partner wäre vieles nicht möglich. MHP ist seit elf Jahren unser Trikotsponsor. Das gab es in dieser Form noch nie. Die Familie Garcia und GAZi begleiten uns seit Jahrzehnten. Firmen wie Haushahn, Ebner Stolz, Neues Heim, die Volksbank Stuttgart und künftig GP Joule über Alexander Lehmann sind neu in unserer Premium-Kategorie und stärken uns enorm. Die LED-Bande von Topregal gibt uns entsprechendes Vermarktungspotenzial. Und dann gibt es Persönlichkeiten wie Günter Daiss, Ralf Hofmann oder andere Gremienpartner, die uns erheblich unterstützen. Das ist nicht selbstverständlich. Dafür bin ich sehr dankbar. 

Sie hatten ursprünglich angekündigt, das Amt nach einem Jahr abzugeben. Warum bleiben Sie nun doch? 

Die Aufgaben, die vor uns liegen – sportlich, finanziell, strukturell, politisch – sind groß. Die Gremien haben mich gebeten, die Amtszeit fortzuführen, und auch meine private Situation hat sich verändert. Ja, ich muss nun mit dem Makel leben, eine Ankündigung nicht umgesetzt zu haben. Aber wenn es im Sinne des Vereins ist, dann trage ich das gerne. Der Wechsel an der Vereinsspitze wird kommen, aber zum optimalen Zeitpunkt. 

Wie lautet Ihr persönlicher Ausblick? 

Wir streben weiterhin den Aufstieg in die 3. Liga an. Aber auf einer gesunden Basis, nicht zwingend kurzfristig, und ohne finanzielle Abenteuer. Unsere Stärke war immer die Gemeinschaft. Fünf Jahre Oberliga, Corona, sportliche Tiefpunkte. Wir haben alles überstanden, weil wir zusammengehalten haben. Wenn wir diesen Weg weitergehen, bin ich überzeugt, dass wir unser Ziel erreichen können. 

Ihr Schlusswort an die Mitglieder? 

Bleiben Sie uns gewogen. Jede Dauerkarte, jedes Mitglied, jeder Sponsorbeitrag hilft uns. Wir kämpfen weiter. Für unsere Jugend, unsere Heimat und für die Zukunft der Kickers.