1. Mannschaft23.05.2025

„Uns war klar: Wir müssen den Kader verändern“ - das Doppel-Interview zum Saisonrückblick

Geschäftsführer Sport Lutz Siebrecht und Chef-Trainer Marco Wildersinn sprechen über das schwache Saisonfinale, emotionale Fan-Reaktionen und den nötigen Umbruch bei den Stuttgarter Kickers.

Lutz, Marco – die Saison ist vorbei. Platz sechs in der Regionalliga, das zweitbeste Ergebnis seit neun Jahren. Und trotzdem ist die Stimmung im Umfeld aktuell angespannt. Wie blickt ihr darauf?

Lutz Siebrecht: Die Unzufriedenheit der Fans ist nachvollziehbar. Die letzten Wochen waren sportlich enttäuschend – auch für uns. Trotzdem: Platz sechs in der Regionalliga ist unsere zweitbeste Platzierung seit fast einem Jahrzehnt.  Zwischenzeitlich waren wir bis auf drei Punkte am Spitzenreiter dran. Natürlich bleibt am Ende der fade Beigeschmack, weil wir das Niveau nicht halten konnten. Aber unter dem Strich war das eine ordentliche zweite Saison in der Regionalliga.

Marco Wildersinn: Dass die Enttäuschung da ist, verstehe ich. Wir als Trainerteam haben uns den Verlauf auch anders vorgestellt. Aber es war keine Saison ohne Hintergrund. Wir hatten eine Mannschaft, die nach der Vizemeisterschaft im Vorjahr den Aufstieg knapp verpasst hatte, das war schwer zu verkraften. In der Saisonendphase dieses Jahr hatten wir dann einige bittere Spiele – zum Beispiel gegen Hoffenheim. Mit diesen Niederlagen haben wir es verpasst, oben nochmal anzugreifen. Das hat Spuren hinterlassen. Dazu kam, dass wir im letzten Drittel der Runde erste Entscheidungen über den Kader für die kommende Saison getroffen und kommuniziert haben. Das hat intern natürlich auch etwas ausgelöst.

Du sprichst den Umbruch an – das war für viele Fans ein emotionaler Tiefschlag, gerade bei Spielern wie David Kammerbauer oder Paul Polauke. Warum dieser Schnitt?

Lutz Siebrecht: Keiner soll glauben, dass solche Entscheidungen leichtfertig getroffen werden oder irgendeinem leicht von der Hand gehen – ganz im Gegenteil. David kenne ich aus seiner Zeit in Ulm. Ich habe ihn sowohl nach Ulm als auch zu den Kickers geholt, weil er die Vereine stets sportlich wie menschlich weiterbringen konnte. Solche Spieler loszulassen, fällt auch uns schwer. Und wir wissen, dass diese Verabschiedungen bei den Fans immer Spuren hinterlassen. Aber wir sind nun mal in der Verantwortung, müssen Dinge vorantreiben und auch verändern – im Rahmen der vertraglichen Möglichkeiten und der Gegebenheiten im Verein. Wir haben unsere Zwänge und das alles ist dann auch kein Wunschkonzert. Zur Einordnung: Wir sind mit 30 Spielern in die Saison gegangen – das ist ein Kaderumfang, größer als bei manchem Champions-League-Team. Zudem fehlte auch die Ausgewogenheit im Kader. Wir hatten den ältesten Kader der Liga, nur fünf Spieler waren unter 23 Jahre jung. In jedem Spiel müssen aber laut Regularien vier Spieler im Kader sein, die unter 23 Jahre alt sind. Aber auch die tägliche Trainingsarbeit mit 30 Spielern ist schwierig. Von den Kosten für diesen Kader ganz zu schweigen - für eine Regionalliga-Mannschaft ist das nicht zukunftsfähig. “Wir brauchen Spieler, die nach der dritten Liga oder einer Weiterentwicklung lechzen”, hat der Präsident gesagt und das trifft es. Außerdem wollen wir wieder mehr auf unseren Weg “vom Talent ins Stadion” setzen. Wir spielen mit allen Jugendmannschaften in den höchstmöglichen Ligen und haben mit dem lizenzierten Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) Voraussetzungen, um welche uns so mancher Drittligist beneidet – ein ideales Umfeld für junge Talente, um sich zu entwickeln.

Was genau heißt das für euren zukünftigen Kurs?

Lutz Siebrecht: Wir brauchen wieder eine gesunde Mischung: Junge Spieler mit Ambition, Perspektive und Entwicklungspotenzial – aber auch Typen mit Erfahrung, die Stabilität reinbringen. Und wir wollen Spieler, die mit uns wachsen. So wie damals in der Oberliga, als wir mit Kevin Dicklhuber, Luigi Campagna, Paul Polauke, David Braig oder auch David Kammerbauer Charaktere geholt haben, die unseren Weg mitgegangen sind und ideale Spieler für die damalige Aufgabe waren. Eine Mannschaft braucht immer wieder frisches Blut, neue Impulse. Man kann nicht immer so weiterspielen. Niklas Kolbe ist auch ein gutes Beispiel. Als wir den von Nöttingen geholt haben, hat das auch keine Begeisterungsstürme ausgelöst. Heute müssen wir sagen: Sein Abgang vor dieser Saison hat uns noch stärker wehgetan, als wir ohnehin schon befürchtet hatten. Und jetzt wechselt er zu Hertha BSC und bleibt in der Zweiten Liga. Aber er hat uns extrem geholfen und uns bestätigt, dass es solche Spieler auch im näheren Umfeld gibt. Wir bieten jetzt zudem unseren Eigengewächsen Mario Borac, Nevio Schembri, Lirjon Abdullahu, Léon Neaimé, David Mitrovic oder Oskar Hencke, aber auch externen Neuzugängen mit Ambitionen optimale Bedingungen, um genau das zu tun – mit uns zu wachsen, zu Identifikationsfiguren zu werden

Marco, du bist jetzt seit einem Jahr Trainer bei den Kickers. Wie beurteilst du den Anspruch, um den Aufstieg mitzuspielen?

Marco Wildersinn:  Das war meine neunte Saison als Cheftrainer in der Regionalliga Südwest, deshalb weiß ich, dass es eine sehr anspruchsvolle Liga ist. Es gibt viele Vereine mit großen Ambitionen – und teils enormen finanziellen Möglichkeiten. Ein Beispiel: Unser letzter Gegner Kassel hat mit Lukas Rupp einen gestandenen Bundesligaspieler in den eigenen Reihen, Yannick Stark war Stammspieler in der 2. Liga. Mit Sandhausen kommt aus der 3. Liga eine Mannschaft runter, deren Etat mindestens mehr als doppelt so groß ist wie unserer. Dazu die ganzen U23-Teams der Bundesligisten – ich weiß aus eigener Erfahrung wie hochprofessionell die Vereine aufgestellt sind, mit enormem Talent. Wir wollen in dieser Liga eine gute Rolle spielen, unsere Mannschaft weiterentwickeln und uns zukunftsfähig aufstellen.

Wo wollt ihr sportlich ansetzen? Was hat die Analyse ergeben? Was muss besser werden?

Marco Wildersinn: Wir hatten in dieser Saison viele gute Spiele – und waren zum Beispiel bei der Anzahl klarer Torchancen ligaweit unter den Top 3. Aber wir waren nicht effizient genug. Das müssen wir verbessern. Wir brauchen mehr Zielstrebigkeit im letzten Drittel, mehr Konsequenz. Gleichzeitig wollen wir aus unserem Ballbesitzspiel mehr Kapital schlagen. Wir hatten oft die Kontrolle, aber daraus müssen noch mehr zwingende Situationen entstehen. Wir wollen außerdem unsere Intensität und Laufbereitschaft deutlich verbessern.

Es waren aber eben, wie gesagt, auch einige schwache Spiele dabei, das ist Fakt.  Wir müssen die Schwankungen minimieren und insgesamt konstanter werden. Daran arbeiten wir.

Und was sagt ihr den Fans, die aktuell sehr kritisch sind – vielleicht auch, weil die Enttäuschung über den geplatzten Aufstiegstraum im letzten Jahr nachwirkt?

Lutz Siebrecht: Ich kann den Frust nachvollziehen. Unsere Fans sind leidenschaftlich – und genau das macht diesen Verein besonders. Aber wir müssen auch realistisch bleiben: Wir waren fünf Jahre in der Oberliga und sind jetzt im zweiten Jahr zurück in der Regionalliga. Es gibt zudem genügend Beispiele, die zeigen, dass das zweite Jahr schwieriger ist als das erste. Wir gehören in der Regionalliga mittlerweile zu den stabilen Teams der oberen Tabellenhälfte – und das ist ein Verdienst vieler Menschen im Verein. Ich bin auch der Meinung, dass wir anderen Vereinen mit mehr Respekt begegnen müssen. Die leisten im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch sehr gute Arbeit – und trotzdem steigen sie nicht auf. Natürlich wollen wir mehr. Aber dafür braucht es Voraussetzungen und Geduld, das zeigen viele andere Beispiele wie Mannheim, Ulm oder Saarbücken. Die waren viele Jahre in der Regionalliga und mussten zahlreiche Rückschläge in Kauf nehmen, ehe sie aufgestiegen sind. Auch Elversberg war neun Jahre in der vierten Liga. Vereine wie Offenbach, Homburg oder andere leisten seit Jahren solide Arbeit und steigen nicht auf. Wir tun uns überhaupt keinen Gefallen damit, weiterhin jede Saison mit dem Anspruch anzugehen, Meister zu werden. Dagegen spricht allein die Faktenlage.

Marco Wildersinn: Wir haben ein klares Ziel: konstanter spielen, effizienter werden, die Fans zufrieden stellen und so die verkleinerte und verjüngte Mannschaft weiterentwickeln. Dann haben wir alle viel Spaß in der Kickers-Familie.